Im 12. und 13. Jahrhundert bildet sich in unserer Gegend ein neues Staatsgebilde heraus, welches sich über die ganze Fläche des Rieses erstreckt, im Norden bis zum Hesselberg reicht, und dessen Westgrenze noch die Ortschaft Lippach und die Stadt Neresheim mit einschließt. Es ist das Land des Herrschaftsgeschlechts der Oettingen. Schon ab 1141 führen sie den Grafentitel, nennen sich also Grafen, und mit der Erhebung in den Fürstenstand, ab 1774, Fürsten zu Oettingen1. Diese Grafenfamilie der Oettingen vererbt ihr Land, ihre Grafschaft, von Generation zu Generation. Das bleibt nicht ohne Folgen für deren Bestand, denn es kommt dabei zu fortschreitenden Aufteilungen des Besitzes. Jeder Erbe will und erhält ein Stück von diesem Kuchen. Die Folge ist, dass sich die Gesamt-Grafschaft in immer mehr Herrschaftslinien verzweigt.
Um 1520/30 – also dem Zeitraum, da die die Reformation einsetzt – sind es im Wesentlichen zwei Herrschaftslinien, die hier eine Rolle spielen: die Linie Oettingen-Oettingen und die Linie Oettingen- Wallerstein. Regiert werden sie von zwei Vettern zweiten Grades, von Graf Martin († 1549), er regiert den oett.-wallerst. Landesteil, und dem Grafen Ludwig XV. († 1557), er steht der Linie Oettingen-Oettingen vor.
Und nun tritt etwas ein, was die religiösen Verhältnisse und die Geschichte der Kirche in unserer Gegend für die Zukunft prägen sollte: Graf Martin hält am katholischen Bekenntnis weiter fest, während sich sein Vetter Ludwig XV. der Reformation anschließt.
Was bedeutet das nun für die Bewohner – besser gesagt, die Untertanen beider Grafschaften?
Entsprechend des im Jahre 1555 in Augsburg ausgehandelten Religionsfriedens, und der dabei festgelegten Regel „Cuius regio eius religio“2, müssen die Untertanen in dem von Graf Ludwig regierten Landesteil das evangelische Bekenntnis annehmen, während die des Grafen Martin katholisch zu bleiben haben.
Also nochmals: Da der Landesherr der Grafschaft Oettingen-Wallerstein, Graf Martin, am katholischen Bekenntnis festhält, ist gleichzeitig damit festgelegt, dass auch seine Untertanen weiter katholisch bleiben, während die Bewohner des oett.-oett. Grafschaftsteils zum evang. Glauben wechseln. Demzufolge werden beispielsweise die zum oett-oett. Landesteil gehörenden Dörfer Benzenzimmern und Ehringen „evangelisch“, während die in der Grafschaft Oettingen-Wallerstein befindlichen Untertanen – also auch die Wallersteiner selbst - weiterhin der kath. Konfession angehören.
Darüber hinaus ist Wallerstein auch der Wohn- und Regierungssitz des katholischen Grafen Martin. Er wohnt auf der damals noch nicht zerstörten Burg. Zu seinen Regierungsbefugnissen gehört auch die Aufsicht über das Religionswesen in seiner Grafschaft; er ist der oberste Kirchenherr, er – und im gleichen Sinne seine Nachfolger - achten streng auf die Bewahrung der kath. Konfession. Das heißt: Wallerstein ist nicht nur Regierungssitz, sondern auch Zentrum und Vorzeigeort des kath. Glaubenslebens. Äußeres Zeichen dafür ist beispielsweise die Erbauung der Maria-Hilf-Kapelle (um 1620), und die Errichtung der Dreifaltigkeitssäule (1725) sowie die Gründung der Rosenkranzbruderschaft (1642).
Evangelisches Gegenstück zu dem katholischen Wallerstein ist damals die Stadt Oettingen. Dort sitzt die Leitung und oberste Kirchenbehörde der evangelischen Kirche, das Konsistorium. Sie wacht über die rechte Ausübung des evangelischen Bekenntnisses in der Grafschaft Oettingen-Oettingen.
Halten wir damit fest: Wallerstein ist Zentrum des katholischen Glaubenslebens, das evangelische Gegenstück die Stadt Oettingen.
Blicken wir jetzt über den Tellerrand des Rieses hinaus und schauen auf den weiteren Verlauf der deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation:
Was 1517 in Wittenberg mit so viel Schwung begonnen hatte, verliert sich mehr und mehr in religiösem Gezeter. Die Entscheidung des Einzelnen, welchem Glauben er sich zuwenden möchte, wird durch das „Cuius regio eius religio“ ersetzt. Immer mehr verstrickt sich dabei die Frage der Religionszugehörigkeit in klein karierte Kämpfe unter den Mächtigen. Das Ganze mündet schließlich - fast genau hundert Jahre nach dem Thesenanschlag an die Schlosskirche in Wittenberg - in den wohl schrecklichsten Krieg auf deutschem Boden, den 30-jährigen Krieg.
Die Kriegshandlungen in den ersten Kriegsjahren führen zunächst zu einem deutlichen Übergewicht der katholischen Seite. Graf Johann Albrecht, der damalige Regent der katholischen Grafschaft Oettingen-Wallerstein, versucht dies auszunützen. Mit Gewalt möchte er in Ehringen und Benzenzimmern wieder die katholische Konfession einführen. Er schickt dazu am 28. Oktober 1631 seine Leute in beide Dörfer. Sie sperren die Kirchentüren zu und nehmen die Kirchenschlüssel mit.
„...die Bürger aber sein nicht zur (evang.) Religion gezwungen worden“
Doch bald sollte sich das Blatt zugunsten der evangelischen Seite wenden: Im April 1632 kommen erstmals die Schweden ins Ries und nehmen u. a. Besitz von Wallerstein. Der schwedische Major und Kommandant auf der Burg befiehlt die Einführung der evangelischen Lehre.
Zunächst werden „evangelische“ Gottesdienste hauptsächlich im „Sommersaal auf der Burg gefeiert, so erstmals am Sonntag Cantate, den 9. Mai 1632. Aber auch in der Pfarrkirche St. Alban wird fortan im reformatorischen Sinne Gottesdienst gehalten. Ein Geistlicher, namens Matthias Röttinger, soll dort am 29. April 1632 erstmals von der Kanzel „evangelisch“ gepredigt haben.
Als die Schweden anrücken, flieht der Landesherr, Graf Johann Albrecht. Er schließt sich der katholischen Kriegspartei an und wird bei Landsberg am Lech am 18. Juni 1632 im Kampf gegen dieselben getötet. Seine verwaiste Grafschaft wird daraufhin von der schwedischen Heeresleitung dem Rittmeister Lorenz v. Hofkirch als Besitz zugesprochen. Damit bekommen die Wallersteiner einen neuen Landesherren, der der evangelischen Konfession angehört. Ihm müssen sie am 12. März 1633 im unteren Hof auf der Burg den Treueid schwören. Verständlich, dass von Hofkirch nun versucht, getreu der Regel „Cuius regio, eius religio“, die „neue Lehre“ in der ihm übereigneten Grafschaft Oettingen-Wallerstein einzuführen.
Er beruft dazu den Pfarrer Georg Brendelin aus Altenmuhr in seinen neuen Residenzort Wallerstein. Dieser predigt erstmals am 10. März 1633 in der Gallus-Kapelle auf der Burg und am 13. März 1633 in der Pfarrkirche St. Alban.
Offensichtlich ist man aber darauf bedacht, den Glaubenswechsel nicht in der damals üblichen brutalen Form zu vollziehen. So etwas muss auch dem Chronisten aufgefallen sein, denn er fügt seinen Aufzeichnungen eigens an: „...die Bürger aber sein nicht zur (evang.) Religion gezwungen worden“.
Wie sich die Einführung der evangelischen Konfession im Einzelnen vollzogen hat, und wie das katholische Wallerstein in Wirklichkeit damit umging, dazu haben wir leider keine eingehenderen Erkenntnisse. Der Grund ist, dass bei der Zerstörung der Burg im März des Jahres 1648 auch alle dort lagernden Archivalien, mit den Berichten darüber, verbrannt sind.
Aber das Zwischenspiel der Schweden ist nur von kurzer Dauer. Die schwed.-evang. Kriegspartei wird in der Schlacht bei Nördlingen in den ersten Septembertagen des Jahres 1634 von den Kaiserlichen vernichtend geschlagen. Die Schweden müssen sich aus Süddeutschland zurückziehen, der Spuk hat ein Ende, die alten Verhältnisse werden wiederum eingeführt. In einem zeitgenössischen Bericht der katholischen Seite heißt es darüber „Den 9. September 1634 hat sich Nördlingen ergeben und ist das Te Deum Laudamus in der Pfarrkirchen gehalten worden. Darnach haben sich die katholischen Priester wieder eingestellt und hat sich das Prädikantengesindel verlaufen.
" Protestanten sind keine vollgültigen Bürger "
Wallerstein bleibt weiterhin ein rein katholisch geprägter Ort. Das mag noch lange über das Ende des 30-jährigen Krieges hinaus der Fall gewesen sein. Aber im Zuge des Wiederaufbaues des stark zerstörten Ortes finden sich auch die ersten, der evangelischen Konfession angehörenden, Bürger ein. Es sind hauptsächlich Kleinhäusler, Handwerker, Taglöhner, vom Krieg ihrer Heimat beraubte Leute, die dort eine neue Bleibe finden.
Doch als Protestanten haben sie an diesem Ort nur einen geduldeten Status. Sie stellen – gleich wie die jüdischen Bürger – eine unterprivilegierte Gruppe dar, der nicht die Rechte eines vollgültigen Gemeindebürgers zugestanden werden. Sie haben kein Wahlrecht und dürfen selbst keine gemeindlichen Ämter (Gemeinderat, Bürgermeister) bekleiden. Auch bei der Feuerwehr und für die Nachtwachen will man sie nicht haben. Wenn sie ein Haus in Wallerstein erwerben wollen, müssen sie sich verpflichten es im Falle eines Falles nur an einen katholischen Gemeindebürger weiter zu veräußern. Dazu wird es nicht geduldet, dass sie sich in der Nachbarschaft von Zentren des kath. Glaubens, wie etwa der Pfarrkirche St. Alban oder der Pestsäule niederlassen.
Darüber hinaus ist die Obrigkeit, sprich: das katholische Grafenhaus (ab 1774 das Fürstenhaus), streng darauf bedacht, dass der Zuzug von Protestanten begrenzt bleibt.
Kurzum: Protestanten können nur ein bürgerliches Leben auf Sparflamme in Wallerstein führen.
Die Zunahme der Evangelischen in Wallerstein
Was ist nun die Ursache für das weitere Anwachsen des evangelischen Bevölkerungsteils in Wallerstein in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts? Um dieser Frage nachzugehen müssen wir nochmals einen kurzen Blick in die Heimatgeschichte werfen. Wir gehen dabei zurück in die Zeit um 1730.
Damals besteht das Gebiet des Gesamthauses der Oettingen aus drei Teilgrafschaften.
- der protestantischen Linie Oettingen-Oettingen (Hauptsitz: die Stadt Oettingen und die Burg Harburg),
- der Linie Oettingen-Spielberg (Hauptsitz: die Stadt Oettingen)
- der Grafschaft Oettingen-Wallerstein (Hauptsitz: Wallerstein)
Die oett.-oett. evangelische Linie stirbt 1731 aus. Ihren Grafschaftsteil erben die beiden verbleibenden katholischen Linien Oettingen-Spielberg und Oettingen-Wallerstein.
Aber wie groß das Kuchenstück ist, welches jedem der beiden Erben zufällt, ist nicht geregelt. Die Folgen sind jahrelange heftige Streitigkeiten zwischen den beiden Erbberechtigten. So lange diese Frage nicht geklärt ist, kann man das Erbe eben nicht teilen und die verwaiste Grafschaft Oettingen-Oettingen muss deshalb durch einen eigenen Beamtenstab in Oettingen kommissarisch weiter verwaltet werden.
Erst um 1780 einigt man sich in diesem Erbstreit darauf, dass 1/3 der Erbmasse dem Hause Oettingen-Spielberg zufällt und 2/3 dem Haus Oettingen-Wallerstein.
Aber die neuen Herren erben nicht nur das Land, sie müssen auch die Beamtenschaft und das Personal des Schlosses der ausgestorbenen Linie Oettingen-Oettingen mit übernehmen. Diese Leute jedoch gehören mehrheitlich der evangelischen Konfession an. Durch ihren teilweisen Wechsel nach Wallerstein und an den dortigen Fürstenhof, wächst
die Zahl der Protestanten im Ort auf rund 200 Seelen an. Eine solche Entwicklung führt zu einem Umdenken des damals regierenden katholischen Landesherrn,
des Fürsten Kraft Ernst. Jetzt ist er nicht mehr darauf bedacht, möglichst wenig evangelische Bürger in seinem Residenzort zu haben, ganz im Gegenteil verlautet von seiner Seite, dass er ihnen „aus höchst toleranter Gesinnung ein eigenes Bethaus verwilligen“ und das freie Religionsexercitium einräumen“ möchte.
Erstmals wird damit eine eigene Kirche für die in Wallerstein lebenden Protestanten ins Gespräch gebracht.
Doch Mittelpunkt der Wallersteiner evangelischen Christen bleibt zunächst weiterhin die Kirche im benachbarten Dorf Ehringen. Dort besuchen sie den Gottesdienst, dort lassen sie ihre Kinder taufen, auf dem dortigen Friedhof betten sie ihre Toten zur letzten Ruhe.
Das gilt auch weiter für die evangelischen Hofbeamten mit ihren Angehörigen, deren Zahl jetzt so stark angewachsen ist. Dabei ist interessanterweise anzumerken, dass unter der Beamtenschaft am Fürstenhof nicht – wie zu erwarten wäre – das katholische Bekenntnis vorherrscht; ganz im Gegenteil: hier findet sich immer eine stattliche Gruppe von Protestanten – ja, sie sind in diesem Gremium zeitweise sogar in der Überzahl. Und der Landesherr, Fürst Kraft Ernst – selbst ein ausgeprägter Bekenner und Verteidiger seines kath. Glaubens - stellt ihnen das Zeugnis aus, dass sie sehr fähige Mitarbeiter seien.
Für die evang. Gemeinde aber sind diese hochkarätigen Leute immer eine große Stütze. Durch ihre Nähe zum jeweiligen Landesherrn können sie viel erreichen und sicher auch manches verhindern.
Mehrere dieser Hofbeamten haben ihre Grablege in Ehringen, so etwa Christian Heinrich von Brandis, der Leutnant des Kreisdragonerregiments Onophrius Friedrich von Dörzbach, der Forstmeister Johann Georg von Lang, der Hofrat und Leibarzt Dr. Johann Philipp Schnitzlein, die Hofbeamtenfamilie Le Suire, u. a.
Die Verhältnisse in der Ehringer Kirche
Da es damals noch selbstverständlich ist, dass jedermann zu den angesetzten Gottesdiensten kommt (ausgenommen Alte und Kranke), ist die Kirche immer übervoll. Um diesem Übelstand abzuhelfen, sieht man sich genötigt im Jahre 1765 eine zusätzliche Empore auf der Südseite des Kirchenschiffs einzubauen. Aber damit ist die Platznot kaum gemildert. Da sich immer mehr Protestanten in Wallerstein niederlassen, herrscht in der Kirche weiterhin drückende
Enge. Wiederholt wird sogar berichtet, dass Gottesdienstbesucher keinen Platz mehr fanden und vor der Türe stehen mussten.
In einem Brief aus dem Jahre 1827 wird die Situation so beschrieben:
Die Wallersteiner Gemeindeglieder würden 177 Personen zählen. Für die aus der Hofbeamtenschaft stünden nur 30 Kirchenstühle zur Verfügung, obwohl sie aus 42 erwachsenen Personen besteht. Für die normalen ‚bürgerlichen Familien‘ sei der Mangel noch gravierender, da für die 63 Erwachsenen nur 5 kleine Kirchenstühle reserviert seien.
Eine eigene Kirche für die Wallersteiner Kirchgänger wäre folglich dringend von Nöten!
Aber noch bevor der Wunsch nach einem Bethaus, sprich einer Kirche, in Wallerstein konkretere Formen annehmen kann, rollt das Rad der Geschichte schon weiter: Die beiden Fürstentümer (Grafschaften) Oettingen-Spielberg und Oettingen-Wallerstein werden 1806 aufgelöst und dem neu gegründeten Königreich Bayern zugeschlagen. Der oberste Kirchenherr für Katholiken wie Protestanten ist nun nicht mehr der regierende Fürst im Wallersteiner Schloss, sondern König Max I. von Bayern. Er räumt den Evangelischen hinsichtlich ihrer Religionsausübung volle Gleichberechtigung mit den Katholiken ein.
Dass König Max I. in konfessionellen Fragen eine durchaus liberale Gesinnung zeigt, ist sicher auch seiner zweiten Gattin, der Königin Karoline Friederike mit zu verdanken. Sie
entstammt dem protestantisch geprägten badischen Herrscherhaus und ist eine der ersten Protestanten in der Landeshauptstadt München überhaupt. Am dortigen Königshof ist sie immer bemüht, sich für die Belange ihrer Glaubensbrüder einzusetzen.
Hartmut Steger